7:30 Uhr, S-Bahn zur Messe München. Ich bin Architekt, sitze seit Wochen über den Plänen für ein Bürogebäude in Hamburg. Der Bauherr nervt wegen der Kosten, der Statiker wegen der Termine, der Brandschutz macht Ärger. Eigentlich kann ich mir die drei Tage BAU gar nicht leisten. Aber ich brauche Lösungen. Konkrete Lösungen für konkrete Probleme. Keine Zeit für Geplauder.
9:00 Uhr, Eingang Ost. Erste Erkenntnis: Ohne Plan bin ich verloren. Der Lageplan sieht aus wie ein Labyrinth aus der Hölle. Zweite Erkenntnis: Jeder Stand schreit "Besuchen Sie uns!" – aber keiner sagt mir, warum das meine Hamburger Baustelle voranbringt.
So läuft das ab. Für jeden Besucher. Jeden Tag. Und die meisten Aussteller haben keine Ahnung, was in den Köpfen ihrer potenziellen Kunden passiert.
Die Besucherwahrheit: Wie ein Messetag wirklich abläuft
9:15 Uhr: Ich stehe vor Halle 1. Mein Gehirn ist schon auf Problemlösungs-Modus. Brandschutz A2-s1,d0 für die Fassade? Schallschutz 55 dB für die Büros? Estrich, der in 14 Tagen begehbar ist? Das sind meine Themen. Alles andere ist Zeitverschwendung.
9:30 Uhr: Erster Stand. Freundlicher Typ in Anzug: "Darf ich Ihnen unser Portfolio zeigen?" Nein. Ich hab drei konkrete Probleme und zwei Tage Zeit. Entweder ihr könnt mir dabei helfen oder nicht. Euer Schild ist zu klein, eure Botschaft zu allgemein. Weiter.
10:00 Uhr: Zehnter Stand. Langsam kriege ich einen Eindruck, wer was macht. Aber ehrlich? Die meisten Stände sehen gleich aus. Schicke Theke, nette Menschen, bunte Broschüren. Aber was ist euer Alleinstellungsmerkmal? Keine Ahnung.
11:00 Uhr: Kaffeepause. Meine Güte, bin ich schon müde. Und das war erst eine Halle.
12:00 Uhr: Halle 3. Ein Stand fällt auf: "Fassadensystem A2-s1,d0 - 20% schnellere Montage." Endlich! Konkret. Messbar. Löst mein Problem. Ich gehe hin. Das Gespräch dauert 15 Minuten. Der Typ versteht sofort: Bürogebäude, 12 Stockwerke, Brandschutzklasse 4, Fertigstellung März 2026. Er rechnet mir vor: 6 Wochen Zeitersparnis, 40.000 Euro weniger Gerüstkosten. Ich bekomme ein Angebot für mein konkretes Projekt. Termin nächste Woche. Bingo.
14:00 Uhr: Mittagspause. Teuer. Überfüllt. Ich überlege, ob ich morgen nochmal komme.
15:00 Uhr: Halle 5. Wieder das gleiche Spiel. Nette Stände, aber nichts Konkretes. Ein Typ will mir unbedingt sein ganzes Sortiment erklären. Mann, ich hab drei akute Baustellen-Probleme und keine 45 Minuten für deinen Produktkatalog. Entweder du hilfst mir bei Schallschutz DnT,w ≥ 55 dB oder nicht.
16:30 Uhr: Füße tun weh. Informationsoverload. Von 50 Ständen waren vielleicht 5 relevant. Von denen haben 2 verstanden, was ich brauche.
17:00 Uhr: S-Bahn zurück. Ich sortiere Visitenkarten. 30 Stück. 20 davon wandern direkt in den Müll - schöne Stände, nette Leute, aber keine Lösung für meine Probleme. 8 kommen ins Büro und verschwinden im Planungschaos. 2 sind Gold wert - aber nur, wenn die Leute schnell nachfassen. Morgen muss ich wieder an die Hamburger Pläne.
Das 60%-Desaster: Warum die meisten Stände unsichtbar bleiben
Die brutale Wahrheit: Als Besucher vergesse ich 80% von dem, was ich gesehen habe, noch am gleichen Tag.
Warum? Weil die meisten Aussteller immer noch denken, Messen funktionieren wie vor 20 Jahren. Stand aufbauen, Prospekte hinlegen, nette Gespräche führen. Fertig.
Realität Check: Ich habe an einem Tag 200 Stände passiert. Intensiv angeschaut habe ich vielleicht 20. Konkret interessiert haben mich 5. Einen Termin vereinbart habe ich mit 2.
Was schief läuft (und zwar massiv)
Problem 1: Ich erkenne nicht, was ihr macht
Euer Schild ist zu klein. Eure Botschaft zu allgemein. "Innovative Lösungen für das Bauwesen" sagt mir nichts. "Estrich begehbar in 48 Stunden statt 28 Tagen" - DAS hilft mir bei meinem Zeitproblem.
Problem 2: Ihr wartet, dass ich komme
Ich laufe an hundert Ständen vorbei. Wenn mich niemand aktiv anspricht, laufe ich weiter. Aber bitte nicht aufdringlich. Sondern mit einem konkreten Nutzen. "Sie planen Bürogebäude? Dann interessiert Sie das hier."
Problem 3: Ihr habt keine Ahnung, wer ich bin
Bin ich Architekt? Planer? Investor? Bauherr? Je nach Antwort brauche ich völlig andere Infos. Aber die meisten erzählen allen das Gleiche.
Problem 4: Ihr macht mir keinen konkreten Vorschlag
"Rufen Sie uns an" ist lahm. "Soll ich Ihnen bis Freitag ein Angebot für Ihr Hamburger Projekt schicken? Inklusive Statik-Vorabprüfung?" - DAS funktioniert.
Die wenigen, die es kapiert haben
Stand in Halle 3, Fassadensysteme. Die haben's verstanden:
- Klare Botschaft: "A2-s1,d0 - 20% schnellere Montage"
- Zielgruppe erkannt: "Sie planen ein Bürogebäude? Dann sparen Sie damit richtig Zeit und Geld."
- Konkreter Nutzen: "Bei 12 Stockwerken wie Ihrem sind das 6 Wochen weniger Bauzeit."
- Direkter Termin: "Soll ich Ihnen nächsten Dienstag ein Angebot für Hamburg machen? Mit allen Brandschutz-Nachweisen?"
Ergebnis: Ich hab den Termin. Und vermutlich auch den Auftrag.
Die Anatomie meines Messetags: Was in meinem Kopf passiert
9:00 bis 10:00 Uhr – Orientierungsphase
Ich checke erstmal, wer da ist. Schneller Überblick. Viele Stände sind noch leer oder ihre Leute trinken Kaffee. Verschenkte Zeit.
10:00 bis 12:00 Uhr – Fokusphase
Jetzt bin ich aufmerksam. Ich schaue genauer hin. Das ist eure beste Zeit. Aber viele verpassen sie, weil sie nicht vorbereitet sind.
12:00 bis 14:00 Uhr – Mittagspause
Überfüllt, teuer, stressig. Die Smart Guys nutzen die Zeit für intensive Gespräche mit weniger Besuchern.
14:00 bis 16:00 Uhr – Müdigkeitsphase
Meine Aufmerksamkeit sinkt. Informationsoverload. Jetzt müsst ihr richtig gut sein, um mich zu erreichen.
16:00 bis 17:00 Uhr – Endspurt
Ich will nach Hause. Aber wenn ihr mich jetzt noch überzeugt, ist das Gold wert. Weniger Konkurrenz, mehr Zeit für Gespräche.
Was mich anspricht (und was nicht)
Funktioniert:
- Konkrete Zahlen: "30% günstiger", "50% schneller", "20 Jahre Garantie"
- Bezug zu meinen Projekten: "Für Bürobauten wie Ihres perfekt"
- Sofortige Problemlösung: "Das löst Ihr Schallschutz-Problem"
- Termine statt Phrasen: "Wann kann ich Ihnen das vorrechnen?"
Funktioniert nicht:
- Allgemeine Phrasen: "Qualität seit 1987"
- Lange Präsentationen: Ich hab keine 30 Minuten
- Überredung: Wenn ich Nein sage, respektiert das
- "Rufen Sie uns an": Macht ihr doch selbst
Die 72-Stunden-Realität: Warum die meisten im Nirwana verschwinden
Tag 1 nach der Messe: Ich sortiere Visitenkarten. 30 Stück auf dem Schreibtisch. Die Erinnerung ist noch frisch.
Tag 2: Erste Visitenkarten landen im Müll. Wer war nochmal die "Müller GmbH"? Keine Ahnung.
Tag 3: Wenn jetzt keine E-Mail kommt, seid ihr vergessen. Endgültig.
Tag 7: Von den ursprünglich 30 Visitenkarten sind noch 5 relevant. Der Rest ist Geschichte.
Was die erfolgreichen 20% anders machen
Tag 1: E-Mail mit Bezug zu unserem Gespräch. "Wie besprochen, hier die Infos zu den Schallschutzwerten."
Tag 2: Die versprochenen Unterlagen. Plus ein konkreter Terminvorschlag.
Tag 3: Nachhaken. Höflich, aber bestimmt.
Ergebnis: Ich hab den Termin. Der andere ist vergessen.
Die Vorbereitung entscheidet: Bevor ich überhaupt komme
Ihr denkt, der Erfolg passiert auf der Messe? Falsch. Der passiert drei Monate vorher.
Was die Profis machen:
- Sie wissen, dass ich komme (Einladung per E-Mail)
- Sie wissen, was ich brauche (Projekt-Info aus dem Vorgespräch)
- Sie haben einen Termin mit mir vereinbart (Dienstag 14:30 Uhr)
- Sie haben Material vorbereitet (spezifisch für mein Hamburger Projekt)
Was die Amateure machen:
- Stand aufbauen
- Hoffen, dass interessante Leute vorbeikommen
- Improvisieren
Ratet mal, wer den Auftrag kriegt.
Die Wahrheit über Messe-ROI
20.000 Euro kostet euer Stand. Wie viele Aufträge braucht ihr, um das wieder reinzuholen?
Bei 10.000 Euro durchschnittlichem Auftragswert: Ihr braucht 2 Aufträge, nur um die Kosten zu decken.
Für echten Profit braucht ihr 6-8 Aufträge. Das heißt: 6-8 Kunden müssen euch so interessant finden, dass sie mit euch Geschäfte machen wollen.
Von 2.000 Besuchern müsst ihr 6 zu Kunden machen. Das ist eine Erfolgsquote von 0,3%.
Klingt wenig? Ist es auch. Deswegen funktioniert die "Mal schauen, was passiert"-Strategie nicht.
Die unbequeme Wahrheit
Messen funktionieren immer noch. Aber nur für die, die verstehen, wie Besucher ticken.
Als Architekt will ich:
- Schnell verstehen, was ihr macht
- Konkret wissen, wie ihr mir helft
- Einfach einen nächsten Schritt gehen können
Wenn ihr das liefert, kaufe ich. Wenn nicht, vergesse ich euch vor der nächsten Halle.
Die 60% verschenkten Potentiale sind kein Pech. Sie sind das Ergebnis schlechter Vorbereitung.
Die Frage ist: Wollt ihr weiter unsichtbar bleiben? Oder fangt ihr an zu verstehen, wie eure Kunden denken?
Euer Stand war eine teure Enttäuschung, aber ihr wisst nicht warum? Ich verwandle Messebeteiligungen in echte Kundengeschäfte. Ohne Bullshit. Mit Verständnis dafür, wie Entscheider wirklich ticken.